Residenzstadt, Studentenstadt, Lammbockstadt – Würzburg hat viele Gesichter, obwohl viele die 130.000-Einwohner-Metropole am Main überhaupt nicht auf der Rechnung haben. Zu Unrecht, wie KIELerLEBEN-Redakteur Olaf Ernst erfahren hat.
Würzburg? Äääh … liegt in Franken, da kommt Basketballstar Dirk Nowitzki her, und der Kultfilm „Lammbock“ um einen Marihuana-Pizzaservice mit Moritz Bleibtreu spielt dort. Mehr konnte ich tatsächlich nicht antworten, als meine Freundin Christine meine Würzburg-Kenntnisse abfragte. Ihre beste Freundin Ina hatte Kiel nach dem Studium eben Richtung Würzburg verlassen und unser erster Besuch stand unmittelbar bevor. Selten fuhren wir derart ahnungslos in eine Stadt. Eine kulturelle Wissenslücke, die es nicht nur für uns zu schließen galt. Denn das für uns geheimnisvolle Würzburg entpuppte sich als eine der schönsten Städte Deutschlands, die viel zu bieten hat.
Aus Kiel könnte die Verkehrsanbindung nicht besser sein: Einmal auf der A215, später A7, muss man nur rechtzeitig nach 600 Kilometern wieder abfahren, schon ist man da. Für den Fünf-Stunden-Trip mit der Bahn ist ein Umstieg in Hamburg in Kauf zu nehmen. Bereits bei der Einfahrt in das Mainstädtchen wird schnell augenscheinlich: Würzburg hat architektonisch eine Menge zu bieten, obwohl es nach mehreren Bombenangriffen zu 80 Prozent zerstört war. Über allem thront die „Feschte“, wie die beeindruckende Festung Marienberg im Fränkischen liebevoll genannt wird. Teile von ihr wurden bereits im Jahr 704 erbaut. Heute ist sie ein monumentaler Burg-Komplex mit Mauern, Türmchen und Hof, in dem zwei Museen, mehrere Gastronomiebetriebe und einige Wohnungen beherbergt sind.
Meefischli sind die Sprotten von Würzburg
In der Innenstadt geht es nicht minder spektakulär weiter. Nach ein paar Schritten fühlt man sich urplötzlich wie in Wien oder Paris, sobald sich die Residenz Würzburg unweit der Fußgängerzone mit Geschäften erhebt. Das Schloss zählt zu den Hauptwerken des Spätbarock und ähnelt daher den Schlössern Schönbrunn in Wien und Versailles in Paris. Allein der Spaziergang durch den Residenzgarten lässt herrschaftliches Flair aufkommen. Im Inneren des UNESCO-Weltkulturerbes warten beeindruckende Deckengemälde, der prunkvolle Kaisersaal und das kostbare Spiegelkabinett. Freunde alter Kirchengebäude finden in Würzburg ebenfalls ihr Glück. 60 Kirchtürme aus allen Stilepochen der deutschen Kirchenbaugeschichte überragen die Stadtdächer. Der Dom St. Kilian, die Marienkapelle, das Neumünster und die Augustinerkirche sind in der Innenstadt zu Fuß binnen 30 Minuten abzulaufen.
Wer gerne feiert und dazu guten Wein genießt, der sollte im Sommer nach „Wötzburch“ kommen. Dann ist die Zeit der Weinfeste. Vielerorts werden die Wein- und Sektflaschen aus den umliegenden Weinbergen geköpft und bei Musik und gutem Essen genossen. Die Mainfränkische Region ist bekannt für ihren guten Wein und exzellenten Sekt. Kulinarisch hat Würzburg nahezu alles aus aller Welt zu bieten. Ganz banal, aber Pflicht ist ein „LKW mit ABS“. Für maximal 2 Euro gibt es an jeder Ecke das „Leberkäsweckle mit a bisserl Senf“. Echte Fischköppe müssen auf ihr Lieblingsessen aber nicht verzichten – wobei nicht die Filiale der Fast-Fish-Kette Nordsee gemeint ist. Denn was dem Kieler seine Sprotten sind, sind dem Würzburger seine „Meefischli“ (Mainfischchen). Die kleinen silbrigen Fische, meist Lauben und Rotaugen, kommen direkt aus dem Main, landen knusprig frittiert auf dem Tisch und werden natürlich von Kopf bis Schwanz verspeist.
Rauschte der Main früher einfach nur so durch Würzburg und diente einzig dem Güterverkehr, haben auch die Franken mittlerweile den Reiz des Lebens am Wasser erkannt. Auf den Mainwiesen wird im Sommer „geratscht“ (miteinander geschnackt), sich gesonnt und gegrillt. Im Stadtkern wurde die Uferpromenade in den letzten Jahren saniert, auf beiden Seiten wächst die Zahl an gastronomischen Betrieben, und zwischen April und Oktober eröffnet der gut 150 Meter lange Stadtstrand an der Löwenbrücke. Auch wenn die Wasserqualität vom Main von Jahr zu Jahr besser wird, rät das Gesundheitsamt aber nach wie vor vom Baden ab. Viele Würzburger interessiert das aber wenig, und sie stürzen sich trotzdem in den Strom. Am ungesündesten dürfte ohnehin ein Zusammenstoß mit einem der zahlreichen Frachter oder Flusskreuzfahrer sein, die Würzburg regelmäßig passieren.
Mein persönlicher Geheimtipp ist ein abendlicher Besuch im Nikolaushof der nahe der Festung Marienberg oberhalb von Würzburg liegt. Von einem Inselpavillon im Seegarten lässt sich bei leckeren Cocktails ein einzigartiger Blick über die erleuchtete Stadt am Main erhaschen. Würzburg ist meiner Freundin und mir mittlerweile richtig ans Herz gewachsen. Unglücklich nur, dass Ina wohl bald wieder zurück nach Kiel ziehen wird. Doch für uns steht bereits fest: Wir werden Würzburg auch weiterhin besuchen.