Das Orchester Kiel hat sich in der Vergangenheit immer wieder als experimentierfreudig hervorgetan. Der gestrige Abend mit einem True-Crime-Podcast-Cross-over reiht sich da perfekt ein.
Am Freitagabend passte ganz vieles perfekt zueinander: True-Crime-Podcasts gehören seit Jahren zum beliebtesten Genre des Mediums. Der Veranstaltungsort, das Casino der Stadtwerke Kiel, mausert sich, nachdem im Sommer bereits das Schleswig-Holstein Musik Festival zu Gast gewesen ist, offenbar zu einer weiteren ausgezeichneten Konzertspielstätte, die über die erneuten Verzögerungen beim Umbau des Kieler Schlosses hinwegtrösten. Und philharmonische Konzerte erfreuen sich ebenfalls unbedingter Beliebtheit.
Zumindest in Deutschland ist die Idee, die Nacherzählung von Kriminalfällen mit einem vollständigen Orchester auf großer Bühne zu verbinden, ein Novum. Als Partnerinnen für dieses Vorhaben hatten sich das Kieler Philharmonieorchester populäre Unterstützung eingeladen: Linn Schütze und Leonie Bartsch, die gemeinsam den Podcast „Mord auf Ex“ bestreiten.
Der Abend versprach also in jedem Fall, interessant zu werden. Auch, wegen der illustren Durchmischung des Publikums aus langjährigen Konzertgänger:innen, Fans des Podcasts („Exis“) und sicherlich auch Menschen, die sich in beiden Welten wohlfühlen.
Nach dem Auftakt mit der an so einem Abend unvermeidlichen, aber auch immer wieder spannungsinduzierenden „Tatort“-Titelmelodie bestritten die erste Hälfte des Abends Generalmusikdirektor und Dirigent des Abends Benjamin Reiners und Konzertdramaturgin Dr. Waltraut Anna Lach. Beide hatten (vermeintliche) Kriminalfälle aus Geschichte der Musik herausgesucht, von den bis heute diskutierten Umständen der Tode von Wolfgang Amadeus Mozart und Pjotr Iljitsch Tschaikowski bis zum Komponisten Carlo Gesualdo, der seine inflgranti erwischte Ehefrau und deren Liebhaber mit 53 Messerstichen tötete.
Begleitet wurden die Erzählungen selbstverständlich stets von passenden Konzertpassagen.
Für den zweiten Teil der Veranstaltung fanden sich auch die beiden Podcasterinnen auf der Bühne ein und hatten einen ganz besonderen Fall mitgebracht: spannend, aktuell und mit Bezug zur (klassischen) Musik. Darüber, dass es bei diesem Fall gar keinen Mord gab, sehen wir einfach mal hinweg. Sergej Filin war Balletttänzer am legendären Moskauer Bolschoi-Theater, wurde nach seiner aktiven Kariere zum Leiter des Balletts und fiel einem Säureanschlag zum Opfer.
Der Fall passte auch deshalb so gut zum Konzept des Abends, weil eng mit dem Bolschoi verbunden Tschaikowskis „Schwanensee“ ist, das auch in dieser Geschichte eine ganz konkrete Rolle spielt. Somit war dann auch der musikalische Rahmen gesteckt und Podcaster:innen und Orchester konnten sich perfekt ergänzen.
Wer nicht dabei sein konnte, bekommt zumindest teilweise eine zweite Chance: Der zweite Part des Abends wird demnächst als zweihundertste Episode von „Mord auf Ex“ veröffentlicht.
Viel wichtiger aber als die Tatsache, dass dieser Abend ein voller und mit reichlich Applaus bedachter Erfolg war, ist aber die Erkenntnis, dass das Konzept ein hervorragendes ist, das gerne ausgebaut werden darf.
So stellten Schütze und Bartsch zum Ende noch kurz ihr neues Podcast-Projekt „True Love“ vor und nicht wenige im Publikum dachten sich: „Damit dürfen die hier auch gerne mal auftreten.“
Das Verbinden von Erzählungen mit Musik ist freilich keine revolutionäre Neuerfindung, aber in dieser Form eine teilweise vergessene Kunst. Das vergleichsweise junge Format des Podcasts und Philharmonieorchester auf der anderen Seite können sich hier gegenseitig befruchten und so etwas wie „Fan-Freundschaften“ befördern.
Wir jedenfalls freuen uns schon auf Neuauflagen mit weiteren Podcaster:innen!