Am vergangenen Freitag feiert die Neuinszenierung von Bertolt Brechts (leider) immer noch, immer wieder neu aktuellen Dramas „Mutter Courage und ihre Kinder“ ihre umjubelte Premiere.
Das von Brecht 1938/39 im schwedischen Exil verfasste Historiendrama aus der Sicht der „kleinen Leute“ spielt im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) und verfolgt das Schicksal der Marketenderin Anna Fierling (gespielt von Agnes Richter), besser bekannt als Mutter Courage, die mit ihrem Wagen und ihren drei Kindern – Eilif (Mischa Warken), Schweizerkas (Tristan Taubert) und der stummen Kattrin (Eva Kewer) – von Lager zu Lager zieht, um Geschäfte zu machen – und zu überleben.
Das Drama ist eine Kritik am Krieg und zeigt, wie dieser die Menschen verändert und ausbeutet. Mutter Courage ist ein Beispiel für jemanden, der glaubt, vom Krieg profitieren zu können, indem sie Waren verkauft.
Im Laufe des Stücks verliert sie jedoch alle drei Kinder an den Krieg: Eilif wird als Held rekrutiert und später aufgrund von Verfehlungen hingerichtet. Obwohl er nach Kriegsende doch nur das gemacht hat, was ihm während des Kriegs niemand aus den eigenen Reihen übelnahm. Schweizerkas wird ebenfalls hingerichtet; weil er die Regimentskasse der Soldaten gestohlen hat. In einem Versuch, ihren Sohn zu retten, lässt Mutter Courage über Yvette (Tiffany Köberich) ein Lösegeld aushandeln, verzockt sich allerdings. Als ihr die Leiche ihres Sohns präsentiert wird, verleugnet sie ihn, um sich und Kattrin zu retten.
Die allerdings stirbt nur wenig später, in dem sie sich opfert, um die Stadt vor einem Überraschungsangriff zu warnen.
Das Stück zeigt die Ironie und Tragik von Mutters Courages Situation: Trotz ihrer Verluste zieht sie weiterhin mit ihrem Wagen von Lager zu Lager, da sie nicht in der Lage ist, ihre Geschäfte und ihre Rolle im Kriegssystem aufzugeben. Das Drama endet mit ihr, die den Wagen allein weiterzieht, als Symbol der endlosen und zerstörerischen Natur des Krieges.
In der Kieler Inszenierung wird gerade das besonders eindrucksvoll dargestellt: Mutter Courage (und zunächst auch ihr Kinder) ziehen keinen Wagen über die Bühne, sondern bewegen an dicken Tauen die Drehbühne – ein Leben im Hamsterrad.
Wie so oft am Kieler Schauspielhaus kann man jeder und jedem der Darsteller:innen nur applaudieren, was das Publikum auch frenetisch tat. Besonders hervorzuheben ist aber die schauspielerische Leistung von Agnes Richter, der es meisterhaft gelang, Komplexität, Kühle aber auch Verletzlichkeit der Titelfigur zu verkörpern. Ein schillernder Mix aus Überlebensinstinkt und Mutterliebe, den man ihr zu jeder Zeit abnahm.
Aber auch über die darstellerischen Leistungen hinaus ist die Inszenierung von Regisseur Carlos Wagner und Dramaturgin Kerstin Daiber ein voller Erfolg: Das Bühnenbild ist dem Stoff des Stücks angemessen schlicht, aber eindringlich und lässt die Schauspieler:innen dadurch umso mehr glänzen.
Die durchweg düstere Lichtstimmung unterstreicht die emotionalen Höhepunkte und intensiviert die Atmosphäre zusätzlich. In gleichem Maße trägt dazu Paul Dessaus Musik bei, die von der in einem Skelettkostüm steckenden Pianistin Ninon Gloger mal mit filigraner Feingeistigkeit, mal mit roher Brutalität vorgetragen wird.
Ein schöner und interessanter Einfall im Hinblick auf die Bühnengestaltung war es, de facto die gesamte Kulisse aus dreh- und verschiebbaren sowie von der Decke herabhängenden schwarzen Tafeln zu kreieren, auf denen die Figuren schreiben, malen und zeichnen, um die Handlung zu begleiten oder voranzubringen.
Brechts Idee des epischen Theaters war es, die Zuschauer zum Nachdenken und Reflektieren anzuregen, statt sie einfach nur emotional zu involvieren. Mit der Kieler Inszenierung geht dieser Plan voll auf.
Weitere Vorstellungen finden am 11., am 13. und 26. Oktober sowie am 2., am 11. und 25. November 2023 statt. Karten gibt es auf theater-kiel.de, telefonisch unter 0431 - 901 901 und an allen Vorverkaufsstellen des Theaters.