Camille Saint-Saëns zwischen 1868 und 1877 geschriebene Oper führt uns in den historischen, nein, biblischen Nahen Osten. „Samson und Dalila“ basiert auf den Berichten aus dem Buch der Richter im Alten Testament und erzählt eine Geschichte von großem Kampf, von Liebe und Verrat, Rache und Vergeltung.
Dabei ist es ein ganz eigenes Drama, dass die Neuinszenierung praktisch nur Stunden nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel und Israels ersten militärischen Erwiderungen Premiere feiert. Denn natürlich handelt es sich bei „Samson und Dalila“ um eine künstlerische Interpretation einer antiken Geschichte und selbstverständlich kann sie der Komplexität des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht gerecht werden – steht letztlich ja aber auch gar nicht Bezug zu ihm. Dennoch: Insbesondere mit der bereits erwähnten zeitlichen Koinzidenz sind manche Parallelen frappierend.
Die Handlung beginnt in Gaza, wo die Hebräer sich in Unterdrückung der Philister befinden. Das Alte Testament ist voll von Erzählungen zu Spannungen und Auseinandersetzungen der Gruppen, die von kulturellen und religiösen Unterschieden, militärischer Überlegenheit bis zu territorialen Ambitionen reicht.
Samson (gesungen und gespielt von Andeka Gorrotxategi) als Anführer der Hebräer ist es, der sein Volk zum Widerstand gegen die Unterdrücker aufruft, und, von Gott ausgestattet mit unmenschlichen Kräften, in den Unruhen den Statthalter der Philister tötet.
Wo die Geschichte eigentlich schon enden könnte, kommt an dieser Stelle Dalila (Tatia Jibladze), eine philistrische Priesterin, ins Spiel, die ihn erfolgreich umgarnt, getrieben von einem Plan: Sie will ihm das Geheimnis seiner ungeheuren Kraft entlocken, vorgeblich, um ihn von seinen Gelübden zu befreien und so den Weg freizumachen für ihre Liebe.
Als Samson ihr schließlich anvertraut, dass seine Kraft in seinen nie geschorenen Haaren als Ausdruck seines Bundes mit Gott begründet liegt, schneidet Dalia ihm die Haarpracht ab und liefert Samson den Philistern aus.
Seiner Kraft beraubt und geblendet (Ein Euphemismus für verschiedene Arten von Folter, die zur Erblindung führen.) findet Samson sich im Tempel des Dagon, einem philistrischen Gott wieder, vor dem Spott preisgegeben wird.
In einem finalen Aufbäumen bittet Samson Gott um die letztmalige Rückgabe seiner Kräfte für einen Akt der Vergeltung. Gott gewährt ihm diese Bitte und Samson bringt, als eine Art biblischer Selbstmordattentäter, den gesamten Tempel zum Einsturz.
Fast schon im krassen Gegensatz zur Handlung der Oper steht ihre musikalische, gesangliche und lyrische Schönheit. Camille Saint-Saëns' „Samson und Dalila“ ist bekannt für ihre dramatischen Arien und Chöre, insbesondere Dalilas berühmte Arie „Mon cœur s'ouvre à ta voix“ und den Bacchanale-Tanz im dritten Akt. Das Thema der verbotenen Liebe und Verrats, kombiniert mit dem Konflikt zwischen persönlichen Begehren und Pflicht, macht „Samson und Dalila“ zu einer fesselnden und emotionalen Oper.
Die Umsetzung all dessen gelingt dem Kieler Opernhaus unter Daniel Carlberg (musikalische Leitung), Immo Karaman (Regie und Bühne), Fabian Posca (Choreografie und Kostüme) sowie Gerald Krammer (Choreinstudierung) auf berauschend gute Weise.
Die Bühnenbilder sind minimalistisch gewählt, jedoch wirkungsvoll, und lässt Raum für die Darsteller:innen, die Geschichte zu gestalten. Dabei spielt nicht zuletzt der Chor eine der wichtigsten Rollen. Seine kraftvollen und nuancierten Darbietungen erinnern das Publikum an das kollektive Herzschlaggefühl, das in großen epischen Opern oft ein Stück weit verloren geht.
Abgerundet wird die Inszenierung von knapp einem Dutzend Tänzer:innen, die der kargen Bühne immer wieder frisches Leben einhauchen und den durchweg dramatischen Szenen mal zusätzliche Gravitas verleihen und mal fast schon spielerische Gegengewichte einbringen.
Die Gesangsleistungen von Jibladze und Gorrotxategi stehen dem allerdings in nichts nach. Mal betörend und sinnlich, mal verletzlich und mal mit geradezu eruptiver Kraft bringen sie die Texte aus dem Libretto von Ferdinand Lemaire in einer Art zu Gehör, dass es ihnen scheinbar ein Leichtes ist, das Kieler Publikum in den Bann zu schlagen.
Aber auch die Nebenrollen, besetzt mit sicheren Bänken wie Jörg Dabrowski (ein alter Hebräer) und Tomohiro Takada (Oberpriester des Dagon), wissen zu begeistern und werden am Ende der Vorstellung zurecht mit großem Applaus bedacht.
Weitere Aufführungen von „Samson und Dalila“ finden am 12., 15., 21. und 28. Oktober sowie dem 12. November, dem 1. Dezember und an weiteren Terminen von Januar bis April statt.
Karten gibt es wie immer auf theater-kiel.de, telefonisch unter 0431 – 901 901 und an allen Vorverkaufsstellen des Theaters.