Groteske Satire oder Geschichtsunterricht. Als Zuschauer:in weiß man nicht so ganz, wo man hier hineingeraten ist. Am Ende stimmt irgendwie beides – und zugleich auch nicht.
„The Minutes“, wie das Stück im Original heißt, ist nach „Mary Page Marlowe“ bereits das zweite von bislang insgesamt zehn Stücken von Tracy Letts, das in Kiel zur Aufführung kommt. Letts ist nicht nur Dramatiker, sondern selbst auch hochdekorierter Schauspieler und etwa für seine Rolle als korrupter CIA-Direktor Lockhart in der Erfolgsserie „Homeland“ zu sehen.
„Die Schlacht am Mackie Creek“ handelt, zumindest vordergründig, von einer Sache, die vielen sicherlich als die langweiligst der Welt gilt, wohl wissen, wie wichtig sie ist: einer Gemeinderatssitzung. Wir begleiten das noch relativ neue Gemeinderatsmitglied Mr. Peel (gespielt von Felix Zimmer), der die jüngste Zusammenkunft aufgrund eines Todesfalls in der Familie verpasst hat, auf der Suche nach Antworten: Was wurde in der letzten Sitzung besprochen? Warum gibt es kein Protokoll? Und wo ist eigentlich Mr. Carp (Tristan Taubert) abgeblieben?
Während der Sitzung fügen sich, nicht zuletzt dank der Hilfe der Schriftführerin Mrs. Johnson (Nina Vieten), immer mehr Teile des Puzzles in Peels Kopf zusammen, bis er nicht nur eine handfeste Verschwörung aufdeckt, sondern auch den Gründungsmythos der Stadt Big Cherry als Heldengeschichte, die einen an Grausamkeit kaum zu überbietenden Akt überdecken soll, entlarvt. Eine düstere Wahrheit, der auch der verschollene Mr. Carp auf die Schliche gekommen war. Für ein überraschendes Ende des Stücks sorgt Bürgermeister Superba (Marko Gebbert) mit einer furiosen, einschüchternden Rede.
Unter der Regie liefern sich die Protagonist:innen während der Sitzung teils aberwitzige Wortgefechte und das in einer Kulisse, die ähnlich absurd erscheint, wie das inhaltliche Setting: Das gesamte Stück spielt sich in einem Aktenordner ab.
Schauspielerisch ist „Die Schlacht am Mackie Creek“ ein großes Vergnügen, bei dem sich die große Liebe zu Detail in der Ausgestaltung, Kostümierung (alle in unschuldigem Weiß) und Ausstattung der Figuren mehr als bezahlt macht. Das gilt insbesondere für die Nebenrollen: Egal, ob die wortgewaltigen Mr. Blake (Rudi Hindenburg) und Mr. Assalone (Tony Marossek), die arrogant-unangenehme Mrs. Breeding (Agnes Richter), Mrs. Hanratty (Yvonne Ruprecht), die eigentlich nur einen barrierefreien Springbrunnen durchbringen möchte, Mr. Oldfield (Imanuel Humm), der hauptsächlich auf einen freigewordenen Parkplatz aus zu sein scheint, die redselige Ms. Innes (Ellen Dorn) oder die wortkarge und verspulte Ms. Matz (Eva Kewer), bei der es sich lohnt, sie immer im Auge zu behalten – all diese Charaktere machen den Gemeinderat erst zu dem, was man von so einem Gemeinderat eben erwartet. Etwas ganz Alltäglichem, eigentlich langweiligem eben. Etwas, in das jede:r von uns hineingeraten könnte. Wenn auch vielleicht – und hoffentlich – nie in diesem Ausmaß.
Die Geschichte hinter der Geschichte
Denn der Großteil der Geschichte ist wahr: ein Massaker, das weiße Soldaten statt am fiktiven Mackie Creek am 29. November 1864 am Sand Creek anrichteten. Tracy Letts’ Stück ist aber nicht wichtig, weil es auf diese eine Gräueltat aufmerksam macht. Es ist wichtig, weil die USA sich insgesamt, zumindest aber in vielen ihrer Bundesstaaten, auf einem gefährlichen Weg befinden. Die US-amerikanische Geschichte ist voll von solchen und ähnlichen Horror Storys, die dringend aufgearbeitet gehören. Und doch werden, etwa in Texas, Schüler:innen nicht länger darin unterrichtet, was war, sondern was die angenehmere Geschichte ist. Zumindest für die „Sieger“, diejenigen also, die für gewöhnlich die Geschichte schreiben.
Und so ist „Die Schlacht am Mackie Creek“ auch ein mahnendes Stück für uns in Deutschland. Zwar wird Deutschland im Ausland oft für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, für die Erinnerungskultur gelobt. Vielleicht sogar zurecht. Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft, in der Ausgrenzungen und Erniedrigungen an der Tagesordnung sind. Egal, ob es nun um einen barrierefreien Springbrunnen oder handfesten Rassismus geht.
Bei alledem kommt die Kieler Inszenierung ohne einen (allzu hoch) erhobenen Zeigefinger aus. Aber sie macht nachdenklich. Und vor allem über Mr. Peels finale Entscheidung sollte jede:r eine Weile sinnieren.
Die Chance, das außergewöhnliche Stück im Schauspielhaus zu sehen, gibt es bis zum 9.6. noch an insgesamt sieben Terminen. Tickets gibt es wie immer unter theater-kiel.de, telefonisch via 0431 – 901 901 oder an allen Vorverkaufskassen des Theaters.