Am gestrigen Sonntag fand das dritte Philharmonische Konzert der laufenden Spielzeit ganz unter weihnachtlichen Vorzeichen statt. Davon zeugte nicht nur die festlich dekorierte Bühne, sondern auch die Auswahl der dargebotenen Stücke.
Zur Eröffnung erklang die „Königskinder“-Ouvertüre von Engelbert Humperdinck, dessen Namen die meisten, die ihn überhaupt kennen, wohl ausschließlich mit „Hänsel und Gretel“ in Verbindung bringen. Zu Unrecht, wie spätestens seit diesem Konzert eine ganze Reihe Kieler:innen wissen.
Nach diesem Opener betrat einer der Gäste des Vormittags die Bühne: Organist Christian Schmitt war mit schwerem Gepäck angereist, denn schließlich verfügt die Ostseehalle nicht über eine Orgel.
Natürlich passt solch eine Orgel auch nicht ins Handgepäck, und so reist Schmitt mit einem Sprinter und einer beeindruckenden Kompromisslösung – einer digitalen Konzertorgel.
Schmitt hätte sich immer schon darüber geärgert, dass die Qualität der zum Einsatz kommenden Orgeln von Standort zu Standort sehr schwankt, erklärte er in der Einführung zum Konzert im Gespräch mit Dr. Waltraut Anna Lach, Konzertdramaturgin und Leiterin der Musikvermittlung in Kiel. „Deswegen haben wir 2018 in der Sommerpause die Orgel der Philharmonie in Essen digital gesampelt“, so Schmitt weiter.
Was er mit dieser Digitalorgel anzustellen vermag, kann sich sehen lassen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn anders als in Einrichtungen mit fest installierter Orgel, saß Schmitt nicht versteckt hinter Chor und Orchester, sondern ganz vorn auf der Bühne, mit Blick zu den Philharmonikern.
Auf den ersten Blick mag es unhöflich wirken, dass neben dem Dirigenten noch jemand mit dem Rücken zum Publikum auf der Bühne ist. Tatsächlich ist diese Positionierung jedoch gleich doppelt gewollt. Nicht nur kann Schmitt so viel besser mit dem Orchester harmonieren, auch das Publikum hat etwas davon – nämlich einen ungewöhnlich freien Blick auf die beeindruckende Fußarbeit des Organisten.
Ein imposantes Schauspiel, bei dem, zumindest während der Solo-Zugabe Schmitts, auch die Mitglieder des Orchesters interessiert-staunend zuschauten.
In der zweiten Hälfte des Konzerts gab es zunächst Nikolai Rimski-Korsakows Suite aus der Oper „Die Nacht vor Weihnachten“ zu hören, die inhaltlich auf einer Kurzgeschichte von Nikolai Gogol basiert. Hier kam dann auch erstmals Philharmonische Chor unter Leitung von Gerald Krammer zum Einsatz.
Stimmlich noch viel mehr zu hören war allerdings im letzten Stück des Tages, Max Bruchs Weihnachtshymne „Gruß an die Heilige Nacht“, bei der nicht nur der Chor eine gewichtige Rolle spielte, sondern auch eine weitere Gästin. Geneviève Tschumi kam zwar mit leichterem Gepäck als Christian Schmitt, dafür umso spontaner, sprang sie doch mit nur wenigen Stunden Vorlauf für die über Nacht erkrankte Nicole Pieper als Alt-Solistin ein. Am Theater Kiel war die mehrfach ausgezeichnete Mezzosopranistin von 2016 bis 2018 als Siegrune in Wagners „Walküre“ zu erleben. Außerdem führte sie ihre Karriere auch schon ans Teatro Guaira nach Brasilien, wo sie, und hier schließt sich ein kleiner Kreis, in Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ auftrat.
Das einmal mehr mit großer Dynamik und Perfektion aufspielende Orchester wurde von einem weiteren Gast dirigiert, Sebastian Lang-Lessing. Lang-Lessing wurde bereits 1993 mit 27 Jahren als damals jüngster Hausdirigent an die Deutsche Oper Berlin geholt und tritt seither in Opernhäusern in aller Welt von Oslo bis Kapstadt, von San Francisco bis Tokyo auf. Nicht zuletzt auch in Seoul, wo Lang-Lessing seit 2020 Musikdirektor der Korean National Opera ist.
Mit Kiel verbindet ihn auch etwas: Lang-Lessing gehört zu den drei verbliebenen Kandidaten für die Nachfolge von Benjamin Reiners als Generalmusikdirektor in der Landeshauptstadt. Neben Lang-Lessing sind noch Daniel Carter (derzeit GMD am Landestheater Coburg) sowie Gabriel Feltz (derzeit GMD am Theater Dortmund) – eine offizielle Entscheidung wird nicht vor Februar 2024 erwartet.
Lang-Lessing jedenfalls hat mit seinem Dirigat des 3. Philharmonischen Konzerts seinem Bestreben, dauerhaft mit dem Kieler Orchester arbeiten zu wollen, spürbaren Nachdruck gegeben.